Mensch, entspann dich!
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Montag, 8:30 Uhr, irgendwo in Deutschland. Christine Ebert hat es eilig, sie ist spät dran. Mit gesenktem Kopf läuft sie durch die Straßen, nebenbei schlingt sie ein Käsebrötchen herunter, ohne den Geschmack wirklich wahrzunehmen. In letzter Minute schafft sie es in die Straßenbahn. Sie lässt sich auf den Sitz fallen und zieht das Smartphone aus der Jackentasche. Noch auf dem Weg ins Büro beantwortet sie die ersten E-Mails.
Zugegeben, Christine Ebert ist erfunden. Aber so wie die eben beschriebene Szene sieht der Alltag vieler Menschen aus. Wir sind ständig hin- und hergerissen, müssen unsere Energie aufwenden für die unterschiedlichsten Dinge: telefonieren, neue Ideen entwickeln, Emails schreiben, zum nächsten Termin hetzen. Der Multitasking-Zwang im Büro treibt uns an. Abends, auf dem Sofa, fühlen wir uns kraftlos, übermüdet, unzufrieden. Dabei wollen wir doch eigentlich nur eins: glücklich sein.
Die Kunst Loszulassen
Was fehlt? Achtsamkeit. Und die Kunst Loszulassen und zu entspannen. Eine Mittel gegen die Misere: Meditation. Wer regelmäßig meditiert, ist entspannter, kann sich besser konzentrieren und ist weniger anfällig für Stress oder Depressionen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Vor allem aber verspricht Meditation das, wonach sich viele von uns sehnen: Ruhe.
Dabei ist Meditation viel mehr als nur ein klischeehaftes „Ohmmm“ im Schneidersitz. Die Sitzmeditation ist zwar am weitesten verbreitet; sie ist aber nur eine Möglichkeit von vielen, um sich zu entspannen.
Jede Handlung kann Meditation sein, sagen Zen-Buddhisten. Die einen finden durch Yoga, Tai Chi oder Qigong zu ihrer inneren Mitte; andere versetzen sich durch das Malen eines Schriftszeichens, durch Bogenschießen oder durch das Kehren des Hofes in einen Bewusstseinszustand der Konzentration und Besinnung.
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So wie Wolfgang Hess. Der 65-Jährige arbeitete zunächst als Zahnarzt und Immobilienhändler. Doch dann, als er in einer Berliner Buchhandlung nach einem Geburtstagsgeschenk für einen Freund suchte, entdeckte er zufällig ein Buch über japanische Gärten. Hess war fasziniert, er kaufte das Buch, fuhr nach Hause, zeigte es seiner Frau. Er sagte: „Schatz, wir müssen nach Japan, Gärten angucken.“ Das war 1996.
Vom Riesenkotzbrocken zum Kotzbröckchen
Heute leitet Hess das Zen-Kloster in Liebenau, Niedersachsen: ein Ort der Stille, mitten im Wald, weit weg vom Trubel der Großstädte, umgeben von Teichen und japanischen Gärten. Und genau diese Gärten sind es, die Hess‘ Leben verändert haben.
Er sagt:
Im japanischen Zen-Buddhismus gibt es neben der täglichen Meditation eine Übung, die mir sehr gut tut: meditative Gartenarbeit, genannt ‚Samu‘. Ziel ist es nicht, den Garten zu säubern – sondern den eigenen Geist. Ich habe in unserem Kloster große, japanische Gärten angelegt mit Teichen, Kiesflächen und Mooshügeln. Da sprießt immer wieder Unkraut. Wenn ich mich niederknie und einen Halm aus dem Boden ziehe, konzentriere ich mich voll auf diese Tätigkeit. Dabei ist es ganz egal, was ich tue. Das kann Gras rupfen sein, das kann ein Blatt sein oder ein Samenkorn, das ich vom Boden aufhebe. Ich sammele alles in einer Schale. Wenn die Schale voll ist, gehe ich in den Wald und leere sie aus. Das mache ich etwa 20 Minuten lang.
Nach einer kurzen Pause fange ich von vorne an, für insgesamt zwei Stunden. Jeden Tag. Schweigend. So bringe ich mein Gehirn in einen Zustand der völligen Ruhe. Ich denke an nichts anderes mehr. Das erfordert die gleiche Disziplin wie bei der Sitzmeditation. Und genauso verliere ich mich in Leere und Schwerelosigkeit. Ein wunderbares Gefühl!
Früher, in meinen Zeiten als Immobilienhändler, habe ich viele Geschäfte abgewickelt. Ich war ein Riesenkotzbrocken, ständig gereizt und streitlustig. Durch Zen habe mich zum Kotzbröckchen entwickelt. Ich bin jetzt viel ruhiger und gutmütiger meinen Mitmenschen gegenüber. Mit 42 Jahren habe ich alles hingeschmissen. Seitdem kümmere ich mich nur noch um Zen und um die Gärten. Ich habe jetzt ein wunderschönes Leben.
